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Literatur und Recht

“Dasz recht und poesie miteinander

aus einem bette aufgestanden waren,

hält nicht schwer zu glauben”

Jacob Grimm: Von der Poesie im Recht [1815]


Law in Literature/ Law as Literature?

Worum geht es?

Wer meint, Literatur habe nichts mit Recht zu tun, der irrt.

Das Recht und die Literatur miteinander zu verbinden, drängt sich einem geradezu auf, wenn man bedenkt, dass seit Jahrhunderten Rechtsfälle und Rechtsprobleme in belletristischen Texten behandelt und künstlerisch verarbeitet werden. Verbrechen, Strafe, Schuld, Gerechtigkeit und andere Themen mit rechtlichem Bezug sind seit jeher Gegenstand von Erzählungen, Gedichten, Romanen, Märchen, Dramen und anderen schöngeistigen Texten. Von der Orestie des Aischylos bis zum neuesten Werk von Ferdinand von Schirach lässt sich deutlich nachvollziehen, dass diese Themen die Leserschaft und das Publikum faszinieren.

Die Forschungsrichtung Recht in Literatur („Law in literature“) untersucht, inwiefern sich juristische Motive und reale Rechtsfälle in literarischen Texten widerspiegeln.

Ziel dieser Untersuchung ist nicht nur der interdisziplinäre Austausch für literaturbegeisterte Jurist*Innen, sondern auch die Gelegenheit zu bieten, dass sich Erfahrungen und Werte in der Literatur entdecken lassen, die Jurist*innen für ethische, gesellschaftliche und politische Fragen empfänglich machen.

Doch nicht nur die Literatur bedient sich rechtlicher Themen, sondern auch das Recht ist in einem wesentlichen Sinne Literatur. Das Recht ist operativ auf Textualität ausgerichtet. Ausgehend von dieser Prämisse überträgt eine neuere Strömung der „Recht und Literatur“-Bewegung eine literaturwissenschaftliche Herangehensweise an Texte auf die Rechtswissenschaft. Die Forschungsrichtung, die Recht als Literatur („Law as Literature“) ansieht, analysiert die Sprache als gemeinsames Medium. Insbesondere geht es dabei um die Bedeutung der Sprache für die Normbildung oder Rechtsfindung und die Konstruktion von Wirklichkeiten und Fiktionen.

Gerade, wenn man während des examensorientierten Studiums der Rechtswissenschaften verinnerlicht hat, das Recht als eine rationale und logische Entscheidungswissenschaft zu lesen, mag man die Anwendung von literarischen Interpretationstechniken auf normative Texte auf den ersten Blick als abwegig empfinden. Der literarische Gehalt des Rechts bildet jedoch eine kulturelle Grundlage und Bezugsgröße des Rechts. Bei der Betrachtung aus dieser Perspektive wird ein idealistischer Gesichtspunkt in das Zentrum gestellt: Die Untersuchung von Wechselwirkungen und Spiegelungen von Recht und Literatur können dazu genutzt werden, ein neues Reflexionsniveau in der Rechtskritik zu erreichen, um Gerechtigkeitsfragen aufzuzeigen und neue ethische Dimensionen zu erreichen.

Die Beschäftigung mit den Themen der Fachrichtung „Recht und Literatur“ schafft eine sinnvolle interdisziplinäre Schnittmenge von Rechts- und Literaturwissenschaft. Gleichzeitig werden Themen verwandter geisteswissenschaftliche Fächer, wie beispielsweise der Philosophie, Hermeneutik, Race-, Gender- oder Queer Studies zugrunde gelegt, die einen alternativen Blick auf das Recht eröffnen.